Der Kommunikationsexperte der Zukunft – Trends und Anforderungen

Von Christopher Storck

Der Diskurs darüber, welche Veränderungen auf die Unternehmenskommunikation in den kommenden Jahren zukommen, hat 2017 Fahrt aufgenommen. Bislang ist er allerdings kein gemeinsamer Nenner erkennbar: Die Wortbeiträge reichen von Social-Media-Fähigkeiten bis zur Bedrohung durch Automatisierung. Es erscheint daher sinnvoll, relevante Phänomene und damit verbundene Herausforderungen synoptisch anzuordnen, um der systematischen Auseinandersetzung eine Ausgangsplattform zur Verfügung zu stellen. Ziel ist ein gemeinsames Verständnis, welche Entwicklungen die Rahmenbedingungen aufspannen, innerhalb derer Unternehmenskommunikation künftig stattfinden wird. Die zu diesem Zweck skizzierte Faktoren-Landkarte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich als Strukturvorschlag für die weitere Diskussion.

I. Rahmenbedingungen

Den Impuls zu dieser Skizze gab das Buch „Out-thinking Organizational Communications“, das Joachim Klewes, Dirk Popp und Manuela Rost-Hein Anfang 2017 vorgelegt haben. Sie haben vier Trendwelten identifiziert, um das Nachdenken über die Herausforderungen an die Unternehmenskommunikation zu sortieren: Technologie, Gesellschaft, Geschäftsmodelle und Organisation. Für jeden dieser vier Bereiche haben sie drei führende Trends ausgemacht und so ein Universum von zwölf Veränderungstreibern geschaffen.

Um der Dynamik dieser Prozesse Rechnung zu tragen, erscheint es sinnvoll, die vier Trendwelten in einen linearen Ursache-Wirkungszusammenhang zu stellen. Es versteht sich von selbst, dass es diese Linearität nicht gibt. Sie erweist sich aber hoffentlich als praktikables Hilfsmittel dafür, in die Diskussion zu starten, ohne die Komplexität des Gegenstands völlig auszublenden. Den Wechselwirkungen in alle Richtungen nachzugehen, ist eine Aufgabe, die umfassender Forschungsarbeit bedarf. Einstweilen kommen wir nur weiter, wenn alle, denen das Thema wichtig ist, Ihre Sicht der Dinge einbringen.

Die intendierte Suche nach Wirkungszusammenhängen innerhalb des Trenduniversums hat es erfordert, innerhalb der vier Trendwelten andere Schwerpunkte zu setzen als die vorgenannten Kollegen. Ein Drittel der Einzeltrends blieb auch für die erweiterte Zielsetzung relevant. Die übrigen waren zwar als Sprungbretter für eigene Überlegungen nützlich, aber diese führten zu anderen Ergebnissen. Das lag nicht zuletzt daran, dass es nötig erschien, die Stakeholder jenseits von Kunden und Mitarbeitern stärker in den Blick zu nehmen.

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Kartografie relevanter Trends und deren Auswirkungen auf die Unternehmenskommunikation

Trendwelt 1: Technologie

Ausgangspunkt für die Veränderungen, mit denen die Kommunikation in, von und über Unternehmen sich auseinandersetzen muss, ist der technologische Wandel. Drei Trends erscheinen mir für die weitere Entwicklung unsere Zunft besonders relevant zu sein: Vernetzung, künstliche Intelligenz und etwas, das man User Empowerment nennen könnte.

Die digitale Durchdringung des Lebens läuft darauf hinaus, dass alles Gegenstand von Vernetzung wird, was in ökonomische Prozesse eingeschlossen werden kann: Menschen, Tiere, Pflanzen, produzierte Gegenstände.

Künstliche Intelligenz schafft die Voraussetzungen dafür, die daraus resultierenden Interaktionen in zielgerichtete Prozesse umzusetzen. Dabei geht es nicht mehr nur um die Beschleunigung von Rechenprozessen, sondern um die Erschließung zuvor nicht nutzbarer Wissensquellen zur Herstellung neuer Kontexte für unternehmerische Entscheidungen und Wertschöpfung.

Das Phänomen, für das ich keinen besseren Begriff gefunden habe als User Empowerment, haben wir alle in den letzten 20 Jahren erfahren. Ein simples Beispiel: Wer 1997 mit dem Zug fuhr, um jemanden in einer anderen Stadt zu besuchen, hatte kaum Möglichkeiten, auf Fahrplan-Unregelmäßigkeiten zu reagieren, sobald er die Reise angetreten hatte. Selbst wenn er von der Verspätung eines Zuges noch am Abfahrtsbahnhof erfuhr, hätte er rechtzeitig eine freie Telefonzelle finden müssen, um den zu Besuchenden vorzuwarnen. Unterwegs war gar nichts mehr zu machen. Heute können wir uns per App über die Pünktlichkeit der angestrebten Zugverbindung informieren, bevor wir uns auf den Weg machen. Von etwaigen Verspätungen, verpassten Anschlüssen, oder massiven Störungen des Bahnverkehrs erfahren wir in Echtzeit. Freunde oder Verwandte, die uns am Bahnhof abholen wollen, bleiben unnötige Fahrten zum und lästiges Warten am Zielbahnhof erspart. Die Ermächtigung des Individuums geht ständig weiter: Es gibt kaum noch Orte auf dieser Welt, an denen wir uns nicht per Smartphone genauso gut zurechtfinden können wie in unserer Heimatstadt. Und das ist erst der Anfang.

Trendwelt 2: Gesellschaft

Die Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf Gesellschaften werden immer massiver. Der vielleicht augenfälligste Trend ist die Globale Integration. Die Informationsgesellschaft hat aus der abstrakten Vorstellung einer Weltgemeinschaft eine grenzenlose Erfahrungsgemeinschaft gemacht. Wir haben Freunde, Kollegen und Geschäftspartner in immer mehr Ländern der Welt. Die Integration findet aber nicht nur in geographischer Hinsicht statt. Auch die verschiedenen Bereiche gesellschaftlichen Lebens wachsen immer stärker zusammen. Im 20. Jahrhundert interagierten nur wenige Menschen mit einem Unternehmen, für das sie nicht arbeiteten. Selbst wenn sie dessen Produkte kauften oder Dienstleistungen in Anspruch nahmen, blieb die Organisation dahinter in der Regel im Verborgenen und meist auch uninteressant. Inzwischen werden selbst die größten Konzerne zu Bestandteilen der Gesellschaften, in denen sie ihren Geschäften nachgehen, wobei sie zunehmend aktive Rollen übernehmen – vor allem dort, wo staatliches Handeln es nicht vermag, Probleme zu lösen oder notwendigen Wandel zu gestalten.

Die künstliche Intelligenz wird vermutlich Gesellschaften radikaler verändern als jeder andere technologische Trend. Bereits heute spürbar ist die daraus resultierende Quantifizierung von allem, was innerhalb gesellschaftlichen Lebens vor sich geht. In 25 Jahren werden in einem Land wie Deutschland die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze verschwunden sein. Die Diskussion darüber hat noch überhaupt nicht begonnen. Dabei müssen wir uns dringend darauf vorbereiten, die mit dieser Entwicklung verbundenen Chancen für unsere Gesellschaft nutzbar zu machen.

Dabei helfen kann uns die technologische Ermächtigung der Menschen, wenn sie für mehr Partizipation an gesellschaftlichen Vorgängen genutzt wird. Entstehung und Aufstieg neuer politischer Parteien sind ein Beispiel dafür. Es sind die sozialen Medien gewesen, die es politisch Interessierten mit Überzeugungen jenseits des Mainstreams ermöglicht haben, darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen, die ihre Sicht der Dinge teilen. Mit der AfD wird es am Sonntag vermutlich erstmals einem solchen neuen Träger von Beteiligungsverlangen gelingen, in den Bundestag einzuziehen. Auf wirtschaftlichem Gebiet sehen sich Unternehmen wachsendem Partizipationsdruck von Seiten gesellschaftlicher Akteure in Gestalt von Nichtregierungsorganisationen, Kampagnenorganisationen und Aktivisten ausgesetzt. Auch diese Entwicklung wäre undenkbar ohne die technologischen Möglichkeiten, die heute Smartphones zur Verfügung stellen.

Trendwelt 3: Geschäftsmodelle

Wo gesellschaftliche und unternehmerische Interessen aufeinandertreffen, entstehen Geschäftsmodelle. Insofern kann es nicht überraschen, dass in einer Zeit, die von technologischen wie sozialen Umbrüchen geprägt ist, neue Geschäftsmodelle traditionelle Wirtschaftsformen herausfordern.

Der wirkmächtigste und für die deutsche Wirtschaft bedrohlichste Trend auf diesem Gebiet ist die Plattform-Ökonomie. Sie ist die logische Konsequenz aus Vernetzung und globaler Integration. Ihr Siegeszug verschiebt den Schwerpunkt der Wertschöpfung weg von den Produzenten hin zu Akteuren, denen es gelingt, digitale Ökosysteme für direkten Austausch zwischen den an Wertschöpfungsprozessen Beteiligten aufzubauen und zu moderieren. Die fünf führenden Betreiber von Plattform-Geschäftsmodellen sind zugleich die wertvollsten Unternehmen weltweit: Apple, Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon.

Je dominanter solche Plattformen werden, desto mehr Daten produzieren sie. Aus der Verbindung der infolge der Vernetzung und Vermessung der Welt rasant anschwellenden Datenströme mit Künstlicher Intelligenz entstehen immer mehr Geschäftsmodelle, für die Daten das sind, was Erdöl bzw. Silikon und seltene Erden für die beiden vorausgegangenen makroökonomischen Zyklen gewesen sind: primärer Rohstoff. Je besser es gelingt, die wuchernden Datenmengen durch Algorithmen zu erschließen, desto besser informiert und schneller können Unternehmen Geschäftsprozesse und Strategien entwickeln, optimieren und steuern. In Zukunft wird der Zugang zu Big Data und die Fähigkeit, daraus handlungsleitende Informationen zu gewinnen, zum Kriterium für geschäftlichen Erfolg und für die Relevanz von Unternehmensfunktionen.

Aus der Kombination von User Empowerment und Partizipation erwächst der dritte Trend auf dem Gebiet der Geschäftsmodelle: die Ko-Kreation. Was alle Startups gemeinsam haben, ist die Identifikation eines fehlenden oder mangelhaften Angebots, das sie durch die Kombination von digitaler Technologie und aktiver Mitwirkung der Kunden an Innovationsprozessen bedienen wollen. Stand am Anfang dieses Trends die Beziehung zwischen Unternehmen und Konsumenten, so weitet sich dieses Konzept zunehmend auch in Richtung von Lieferanten, Geschäftspartnern, Freelancern und gesellschaftlichen Akteuren aus.

Trendwelt 4: Organisation

Aus den Auswirkungen der Trendwelten Technologie, Gesellschaft und Geschäftsmodelle ergeben sich Herausforderungen an die Organisation von Unternehmen, die für die die institutionalisierte Kommunikation sowohl mit Chancen als auch mit Risiken verbunden sind.

Technologische Vernetzung, Globale Integration und der Übergang zur Plattform-Ökonomie verlangen eine Überwindung der in traditionellen Konzernen vorherrschenden starren Organisationsformen. Eine zentrale Erfolgsvoraussetzung für Unternehmen im mit der Digitalisierung einhergehende VUCA Environment – geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – besteht in verstärkter Zusammenarbeit über Funktion-, Divisions-, und geographische Grenzen hinweg. Die Etablierung einer von Kollaboration geprägten Kultur und Haltung stellt vermutlich den tiefgreifendsten Wandel dar, den traditionelle Unternehmen und ihre Führungskräfte zu bewältigen haben.

Die Quantifizierung der Welt und die Erschließung der daraus resultierenden Datenmassen durch Künstliche Intelligenz konfrontiert Unternehmen wie die Gesellschaft insgesamt mit dem Phänomen der Automatisierung. Dies wird in einem Ausmaß geschehen, das sich – wenn überhaupt – nur mit den Umwälzungen im Arbeitsleben vergleichen lässt, zu denen die erste Welle der Industrialisierung geführt hat. Einer Studie der Universität Oxford zufolge wird diesem Trend in den Industriestaaten in einem Vierteljahrhundert die Hälfte der heutigen Jobs zum Opfer fallen. Erstmals in der Wirtschaftsgeschichte wird eine solche Entwicklung in größerem Umfang Hochschulabsolventen treffen. Verschwinden werden dabei nicht nur Stellen, sondern ganze Berufe – vor allem im administrativen Bereich und im Dienstleistungssektor.

Die technologische Ermächtigung des Individuums gepaart mit wachsender Teilhabe führt nicht nur zu Geschäftsmodellen auf der Basis von Ko-Kreation. Die massive Beschleunigung von Innovation, die Fragmentierung der Kundenerwartung und die zunehmende Volatilität des wirtschaftlichen Umfelds verlangen eine viel höhere Agilität, als traditionelle Unternehmen sie in der Regel mitbringen. Ein Weg, wie Unternehmen diesen Herausforderungen begegnen, besteht im massiven Ausbau von befristeter Zusammenarbeit mit externen Kompetenzträgern zur Erfüllung spezifischer Aufgaben oder zur Entwicklung neuer Erfolgspotenziale. Die Folge ist zunehmende Fluidität: Nicht nur Aufbau- und Prozessorganisation werden verflüssigt, sondern auch die Grenzen zwischen innen und außen.

II. Auswirkungen auf Unternehmenskommunikation

Herausforderung 1: Technologischer Wandel

Die digitale Vernetzung der Welt, in der Unternehmen ihre Geschäfte betreiben, zwingt sie, den Fokus ihrer Kommunikation auf die Verbreitung von Botschaften über journalistisch kontrollierte Medien aufzugeben. Für den Dialog mit internen und externen Stakeholdern müssen neue Kontaktstellen identifiziert und operationalisiert werden.

Die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und die Logik von Algorithmen für den Einsatz in der UK zu verstehen, tritt als Kompetenz neben die Produktion und Vermittlung von Inhalten auf traditionellem Wege. Die Unternehmenskommunikation muss sich unter drei Aspekten damit auseinandersetzen:

  • der Analyse von Verhalten, Erwartungen und Einstellungen auf Seiten der Stakeholder;
  • der Produktion von zielgruppengerechten Inhalten;
  • der Automatisierung von dafür geeigneten Interaktionen mit internen wie externen Gesprächspartnern (z. B. Informationsabfragen oder Beschwerdevorgänge).

Hinzu kommt die Notwendigkeit, Stellung zu beziehen zu einer Frage, von der das Wohlergehen sowohl des eigenen Unternehmens als auch der Gesellschaft als Ganzes abhängt: Wie viel Künstliche Intelligenz wollen wir zulassen, wo überwiegen die Chancen, wo das zerstörerische Potenzial, und wie lässt sich das austarieren? Die Diskussion darüber ist so dringend wie überfällig.

Das User Empowerment, die digitale Ermächtigung des Individuums, eröffnet der Unternehmenskommunikation zwei interessante Stoßrichtungen:

  • Zum einen lassen sich Erkenntnisse über Kundenerwartungen an sekundäre Angebotsaspekte (z.B. ethische Fragen im Hinblick auf Lieferkette, Produktion oder Umweltverträglichkeit) gewinnen; daraus ergibt sich eine Stärkung der Rolle als interner Berater.
  • Zum anderen wird aus der unvermeidlichen Digitalisierung des Dialogs mit Stakeholdern jenseits der Kunden die Notwendigkeit resultieren, auch deren unternehmensrelevante Erlebnisse positiv zu gestalten und deren Feedback für die Information von Management-Entscheidungen zu nutzen.

Herausforderung 2: Gesellschaftlicher Wandel

In der ersten Phase der Globalisierung waren Unternehmen und Regierungen die treibenden Kräfte. Inzwischen hat sich das vernetzte Individuum als weiterer Akteur etabliert, der zunehmend Einfluss auf die Schwerpunkte und Richtung der Globalen Integration nimmt.

Im Zuge dessen wird die Fähigkeit von Unternehmen wichtiger, kulturelle Besonderheiten zu verstehen und bei Kommunikationsprozessen zu berücksichtigen – sowohl im Hinblick auf die Information von Managemententscheidungen, als auch bei deren Umsetzung. Künstliche Intelligenz wird in absehbarer Zeit vermutlich nur zur Überwindung sprachlicher Grenzen, nicht aber zur Verständigung über kulturelle, ethnische oder religiöse Unterschiede hinweg einen wesentlichen Beitrag leisten können. Insofern sichert Kommunikation die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen, indem sie dafür sorgt, dass Unternehmen und Gesellschaften in Beziehung bleiben.

Daraus ergibt sich eine Chance auf Bedeutungszuwachs und Budgeterhöhung für divers zusammengesetzte Kommunikationsfunktionen, indem sie die Rolle eines Relais zwischen der Organisation und deren Stakeholdern erfüllen. Denn wenn es nicht mehr in erster Linie darum geht, Botschaften zu formulieren und über Kanäle an Zielgruppen zu versenden (inside-out), sondern Interessengemeinschaft zwischen dem Unternehmen und dessen Stakeholdern herzustellen, dann wird die Fähigkeit der Organisation, externe Perspektiven in Betracht zu ziehen (outside-in) zur Kernkompetenz der Unternehmensführung.

Eine zentrale Aufgabe von Unternehmenskommunikation wird es daher werden, organisatorischen Autismus zu überwinden, um frühzeitig auf riskante Unstimmigkeiten zwischen Innen- und Außenperspektive aufmerksam zu machen bzw. um Chancen aus veränderten Interessenlagen zu erkennen, bevor Mitbewerber dazu imstande sind.

Der Trend zur Quantifizierung erweitert die Möglichkeiten der Unternehmenskommunikation, die Planung und Steuerung ihrer Aktivitäten auf die Analyse von Daten stützen, die Aufschluss über Interessen und Erwartungen der Stakeholder geben. Bestimmte Unternehmensfunktion kennen die Anforderungen bestimmter Stakeholder in der Regel sehr gut. Das gilt für die Marketingabteilung im Hinblick auf die Kunden oder für Investor Relations im Hinblick auf den Kapitalmarkt. Die Kommunikationsabteilung kann in diesem Kontext allerdings zwei Lücken schließen, deren Schadenspotenzial weiter steigen dürfte:

  • Die Kenntnis dessen, was zu tun ist, um Kooperationsbereitschaft herzustellen und zu stabilisieren, ist vielfach auf die primären Stakeholder beschränkt. Die Unternehmenskommunikation unterhält dagegen auch Beziehungen zu sekundären, gesellschaftlichen Stakeholdern oder besitzt zumindest beste Voraussetzungen dafür.
  • In diesem Kontext kann ein weiterer zentraler Leistungsbeitrag der Kommunikation zur strategischen Unternehmensführung darin bestehen, die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stakeholdergruppen im Blick zu haben. Das würde angesichts dessen, dass die meisten Vorstände Ressortverantwortlichkeiten widerspiegeln, das vernetzte oder sogar ganzheitliche Denken der Organisation erheblich stärken.

Die zunehmende Vermessung des Verhaltens und der Befindlichkeit von Individuen macht es zudem immer dringlicher, das Thema Datenschutz auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene intensiver und vor allem unter neuen, strategischen Vorzeichen zu diskutieren. Auf Kommunikatoren von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf Big Data beruhen kommt, kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu.

Das Verlangen nach Partizipation führt nicht nur dazu, dass Legalität als primärer Maßstab für die gesellschaftliche Akzeptanz unternehmerischen Handelns durch Legitimität ersetzt wird. Soziale Interaktion verlagert sich insgesamt weg von monodirektionalen Kanälen hin zu partizipativen Plattformen. Die „digital natives“ beziehen ihre Informationen nicht mehr aus traditionellen Medien. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass dieses Desinteresse nachwachsender Generationen den Journalismus seiner Funktion für die gesellschaftliche und ökonomische Meinungsbildung vollständig berauben wird. Die Unternehmenskommunikation wird folglich zunehmend und dauerhaft in medialen Parallelwelten aktiv sein müssen. Der Trend zur Herausbildung von Paralleldiskursen bis hin zu hermetisch abgeriegelten Echokammern wird dazu führen, dass die Kommunikationsarbeit vielschichtiger wird. Sie wird überall dort stattfinden müssen, wo Stakeholder zu erreichen sind.

Die Neuausrichtung der Fähigkeiten und Ressourcen der Unternehmenskommunikation von traditioneller Medienarbeit und Mitarbeiterkommunikation hin zum Stakeholderdialog steht noch relativ am Anfang. Umso wichtiger wird es sein, die Möglichkeiten digitaler Plattformen zu nutzen, ins Gespräch mit einem immer komplexeren Universum von Stakeholdern zu kommen, um gezielt Interessengemeinschaft herzustellen und zu stabilisieren. Kommunikationsabteilungen müssen daher lernen, mit allen für ihre Arbeit potenziell relevanten digitalen Kommunikationsmitteln und- Plattformen umzugehen. Dazu gehört, systematisch zu beobachten, welche Neuerungen es gibt, diese auszuprobieren, um herauszufinden, inwiefern sie für die eigene Arbeit relevant sind – aktiv wie passiv. Auch wenn speziellere Aufgaben an digital natives übertragen werden können, stehen doch alle Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation in der Pflicht, jene Instrumente beherrschen zu lernen, die Kulturtechniken darstellen bzw. auf dem Weg dorthin sind.

Herausforderung 3: Wirtschaftlicher Wandel

Unternehmen und Branchen, die es nicht schaffen, ihre Geschäftsmodelle, Kultur und Fähigkeiten schnell genug den Anforderungen der Plattform-Ökonomie anzupassen, werden Wettbewerbsfähigkeit und Marge, womöglich sogar ihre Existenz verlieren. Wenn es der Kommunikationsfunktion gelingt, die Rolle eines Katalysators für die notwendige Transformation auszufüllen, wird sie zur Lebensversicherung des Unternehmens. Mit den bisherigen Werkzeugen, Methoden und Verfahren wird diese Leistung allerdings nicht zu erbringen sein. Dies verlangt nicht nur neue Mittel und Wege, sondern auch eine mutigere Haltung im Bewusstsein der Wichtigkeit des zu erbringenden Beitrags.

Die Unternehmenskommunikation muss ihre Rolle in einer vernetzten Welt finden, in der die Masse der exponentiell zunehmenden Kommunikationsvorgänge auf Algorithmen und KI beruhen werden. Bislang werden Big Data in der Unternehmenskommunikation – wenn überhaupt – vor allem dafür genutzt, Entscheidungen darüber zu informieren, welche Inhalte, Formate, Plattformen und Influencer für die Beeinflussung spezifischer Stakeholder geeignet sind. Ein weiteres Experimentierfeld ist die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten: Inwiefern gelingt es, wichtige Themen zu setzen und den Diskurs darüber zu dominieren oder wenigstens im eigenen Interesse zu beeinflussen. Kommunikationsmanager hoffen darauf, dass Big-Data-Analysen zukünftig in Echtzeit zeigen, was funktioniert und was nicht. Um Big Data und Künstliche Intelligenz für strategische und operative Entscheidungen nutzbar zu machen, müssen Kommunikatoren nicht notwendig programmieren lernen – jedenfalls nicht alle. Unverzichtbar ist dagegen folgendes:

  • hinreichendes Verständnis davon, was mit Algorithmen und Datenanalyse machbar ist;
  • barrierefreien Zugang zu Programmierern und Daten Analysten, denen sie dazu verhelfen, Kommunikations-Arbeit zu verstehen;
  • Kenntnis von und Zugriff auf im Unternehmen verfügbare Daten, die Kommunikation nutzen kann, um strategische und operative Entscheidungen der eigenen Funktion wie der Unternehmensführung zu informieren.

Voraussetzung für die Erschließung dieser Potenziale ist die Etablierung einer oder mehrerer Schnittstellen in die CIO-Organisationen hinein. Aktuell fehlt es meist an allem: einer adäquaten Aufbau- und Prozessorganisation, Mitarbeitern und Dienstleistern mit den erforderlichen Fähigkeiten (Data Science), Schnittstellen zu Datenströmen aus Geschäftsprozessen (ERP-Systemen), den finanziellen Möglichkeiten, diese Potenziale zu entwickeln, Mitwirkung an der Strategie-Diskussion des eigenen Unternehmens, Zugang zum gesellschaftlichen Diskurs über Nutzen und Gefahren der neuen technologischen Möglichkeiten und die daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Unternehmen beziehen ihre Kunden zunehmend in die (Weiter-) Entwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen ein. Kunden werden dadurch nicht nur zu Innovationspartnern, sondern auch zu informellen Mitarbeitern. Wo Ko-Kreation praktiziert wird, hat das Konsequenzen für das Management der Unternehmenskultur: Die Kommunikation muss dann nicht nur den internen Wandel vorantreiben. Sie muss auch der Tatsache Rechnung tragen, dass aus Zielgruppen Akteure werden, ohne deren Mitwirkung zukünftige Geschäftsmodelle nicht funktionieren. An die Stelle von Propaganda in Richtung relativ unbekannter Käufer standardisierter Angebote tritt Dialog auf Augenhöhe mit Kooperationspartnern, deren Teilhabe für den nachhaltigen Unternehmenserfolg unverzichtbar ist – sei es für F&E, Produktion, Vertrieb oder Marketing. Entsprechend gehört es zu den zentralen Aufgaben der Unternehmenskommunikation, Plattformen zu erschließen oder selbst zu etablieren, auf denen der Austausch über unternehmensrelevante Themen stimuliert, inszeniert und moderiert werden kann.

Herausforderung 4: Organisatorischer Wandel

Die digitale Transformation erfordert die Überwindung starrer organisatorischer Binnengrenzen und möglichst umfassende und reibungslose Kollaboration zwischen den Unternehmensteilen. Das verlangt, die Mitarbeiter zur Selbstorganisation zu ermächtigen. Voraussetzung dafür ist der Zugang zu Informationen und die Fähigkeit, diese zu verarbeiten. Durch den partizipativen Charakter von Kommunikation in, von und über Unternehmen verändert sich zudem die Rolle des professionellen Kommunikators vom Produzenten und Vermittler von Informationen hin zu einem Kurator von Inhalten, die an verschiedenen Stellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens entstehen und mittels digitaler Plattformen für die Unternehmenskommunikation erschlossen werden können. Daraus ergibt sich die Aufgabe, das Ökosystem für diese Form der Kommunikation zu erschließen, bedarfsgerecht auszubauen und weiterzuentwickeln, das Zusammenwirken der verschiedenen internen und externen Akteure zu organisieren und im Sinne des Unternehmens zu moderieren. Zu diesem Ökosystem gehören alle Stakeholder, die als Owner, Gatekeeper oder Influencer mit darüber entscheiden, inwiefern das Unternehmen zu strategiekonformen Kosten nachhaltig Zugang zu allen Vermögensarten erhält, die es für seine Geschäftsprozesse benötigt. Organisatorisch verlangt das den Übergang von der hierarchischen Konzernabteilung hin zu einer Netzwerkorganisation mit Schnittstellen zu allen in die Kommunikationsarbeit eingebundenen internen und externen Akteuren – und zwar weltweit.

Das daraus resultierende Volumen interner Kommunikationsvorgänge wird nur durch Automatisierung zu bewältigen sein. Die Unternehmenskommunikation muss daher lernen, Inhalte aus Datenbanken und -ozeanen mittels Künstlicher Intelligenz auszuwerten und in kommunikative Angebote umzusetzen. In Vorbereitung dessen muss die Unternehmenskommunikation die Haltung des Unternehmens zur Kommunikation via Bots und das Regelwerk dafür entwickeln und formulieren. Denn die Erfahrungen aus rund 20 Jahren online-gestützter Unternehmenskommunikation zeigen: Mehr Transparenz führt zu noch höheren Erwartungen an die Transparenz des Was, Wie und Warum. Daher steht zu erwarten, dass die Nutzung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz es erfordern wird, dass Unternehmen die Motive und Verfahren ihrer kommunikativen Aktivitäten noch eingehender von sich aus zu erläutern. Daraus wird zwar kein Vertrauen erwachsen, umgekehrt würde aber Vertrauen zerstört, wenn ein Unternehmen diese Transparenzleistung nicht erbringt. Kritische Stakeholder hätten es dann leicht, Manipulationsvorwürfe zu erheben, die Glaubwürdigkeit des Unternehmens zu erschüttern und die Lauterkeit von dessen Geschäftspraktiken in Zweifel zu ziehen.

Unternehmenskommunikation wird aber nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt von Automatisierung werden. Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig auf Aufgaben zu konzentrieren, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen erfordern. Um ihre Relevanz zu stabilisieren oder gar zu erhöhen, muss Kommunikation auch emotionaler werden. Zu den Leistungsgebieten, auf denen Menschen ihre Überlegenheit gegenüber Maschinen auf absehbare Zeit nicht verlieren werden, gehört ferner die Kreativität. Je mehr digital natives in die Führungsetagen eines Unternehmens einziehen, desto schneller und fundamentaler werden sich Kultur und Arbeitsweisen ändern. Im Zuge solcher Prozesse wird die Relevanz der Unternehmenskommunikation davon abhängen, wie gut es ihr gelingt, intern die Transformation voranzubringen und extern die neue Positionierung von CEO und Unternehmen. Beides wird bahnbrechende Ideen, kreative Maßnahmen und kalkulierte Tabubrüche erfordern.

Somit steht der Unternehmenskommunikation ein Prioritätenwechsel weg von effizienter Arbeitsteilung bei der Produktion und Vermittlung kommunikativer Angebote hin zu einem Dreiklang aus situativer Kreativität, empathischem Dialog und Führungskräfte-Support. Statt weiter Rückzugsgefechte gegen den unvermeidlichen Kontrollverlust zu führen, sollte die Unternehmenskommunikation den Spielraum strategisch nutzen, den ihr authentische Gespräche bieten. Daraus ergeben sich weitere interne Herausforderungen: Kommunikationsverantwortliche müssen Topmanager davon überzeugen, dass es keine sinnvolle Alternative zu proaktiver dialogischer Kommunikation mit Mitarbeitern und externen Anspruchsgruppen gibt. Dazu gehört die Erkenntnis, dass nicht nur die Bezeichnung One-Voice Policy sinnwidrig gewesen ist, sondern auch das Konzept an sich jedenfalls in Zukunft nicht mehr funktionieren wird. Wenn eine Organisation mit tausenden von Mitarbeitern nur mit einer Stimme spricht, dann wirkt das wie Propaganda. Gefragt ist aber Authentizität.

Neue Anforderungen an die Unternehmenskommunikation stellt auch die wachsende organisatorische Fluidität. In der Netzwerk-Ökonomie wird Humankapital ähnlich mobil wie Finanzkapital. Je dominanter Plattform-Geschäftsmodelle werden, desto weniger sind Unternehmen darauf angewiesen, Leistungen mit eigenen Mitarbeitern zu erbringen. In Zukunft werden sie vermehrt aufgabenspezifisch externe Spezialisten einsetzen. Im Hinblick auf die interne Kommunikation ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Ersatz zu finden für die informellen Gespräche, die eine wichtige Grundlage für das Funktionieren traditioneller Konzernkommunikationsabteilungen bilden. Digital abgestütztes Community Management über Funktions- und Standortgrenzen hinweg wird ebenso wichtiger wie die nach innen gerichtete Inszenierung des Top-Managements.

Die zunehmende Integration externer Akteure in geschäftliche Abläufe führt darüber hinaus die traditionelle Trennung zwischen Kommunikation nach innen und außen ad absurdum. Je mehr Aufgaben im Wertschöpfungsprozess außerhalb des Unternehmen erbracht werden, desto anspruchsvoller wird es, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen – nicht nur über die gesamte Lieferkette hinweg, sondern für den gesamten Prozess der Schaffung materieller und immaterieller Werte. Das betrifft alle Faktoren, die mit dem Qualitätsversprechen eines Unternehmens verflochten sind: nicht zuletzt Vision, Mission, Werte, Kultur, Reputation und Marke.

Es muss sichergestellt werden, dass alle, die das Unternehmen repräsentieren, sich im Einklang mit dessen handlungsleitender Ordnung verhalten. Auch Experten, die nur temporär Teil der Organisation werden, brauchen Kenntnis von Zielen und Strategie des Gesamtunternehmens wie der Organisationseinheit, für die sie tätig sind. Für dieses Problem – wie für alle Transformationsprozesse im Kontext von Disruption – bietet sich purpose-driven leadership als Lösungsansatz an: die Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses, das über das Was des Tagesgeschäfts hinausgeht: Warum es das Unternehmen gibt und wie es sein Geschäft betreibt. Entsprechend ist zu erwarten und auch schon zu beobachten, dass die Klärung der kollektiven Identität eines Unternehmens unter Einschluss von Tradition und im Hinblick auf die zukünftige Daseinsberechtigung zu einer zentralen Aufgabe der Unternehmenskommunikation wird. Es spricht wenig dafür, dass Führungskräfte die damit verbundenen Rollenerwartungen künftig in stärkerem Maße selbstständig erfüllen werden, als sie das heute bei weit geringeren Anforderungen tun. Insofern bietet auch der Trend zu Ko-Kreation der Unternehmenskommunikation die Chance auf erheblichen Bedeutungszuwachs.

Hinzu kommt, dass gerade die besten Experten eine Wahl haben, für welche Unternehmen sie tätig werden. Dies verlangt es, zwischen den Interessen der Inhaber, Geschäftsführer und Führungskräfte einerseits und individuellen externen Kompetenzträgern andererseits Interessengemeinschaft auf Zeit herzustellen. Daraus ergibt sich neben inhaltlichen Aspekten die Notwendigkeit wertschätzender Kommunikation anstelle von Befehl und Gehorsam.

Fazit

Die Zusammenschau der Anforderungen, die sich bereits aus der Analyse eines stark eingeschränkten Trend-Universums ergeben, zeigt: Das Berufsfeld Unternehmenskommunikation steht vor grundlegenden Veränderungen. Vielleicht brauchen seine Vertreter nicht allen Optionen nachzugehen, die sich abzeichnen. Vermutlich werden umfassendere Untersuchungen der Vorgänge in den vier Trendwelten und deren Wechselwirkungen allerdings weitere Chancen und Risiken ausmachen. Insofern kann als sicher gelten: Die Unternehmenskommunikation steht am Scheideweg.

Sie kann die neuen Möglichkeiten nutzen, um auf dem Weg von der Unterstützungsfunktion zur strategischen Unternehmensfunktion voranzukommen. Dazu wird sie ihr Repertoire an Kenntnissen, Fähigkeiten und Werkzeugen erweitern müssen. Dabei darf sie genauso wenig zögern wie bei der Selbsterprobung in neuen Rollen. Tut die PR-Profession das nicht schnell, entschlossen und konsequent genug, droht ihr erheblicher Bedeutungsverlust.

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